Schamanen - Mittler zwischen den Welten

Das Wort "Schamane" läßt sich aus der tungusischen (Sprache eines sibirischen Volksstammes) Wortwurzel "sam" ableiten, was soviel bedeutet wie wissen oder können bzw. Entrückung oder Verzerrung. Der Schamane verfügt über Kenntnisse und Fähigkeiten, sich von den physischen Gegebenheiten des irdischen Lebens zu entrücken, um auf seiner geistigen Reise die Grenzen zwischen der Erde und den von Geistwesen bewohnten Nebenwelten zu überwinden.

 

Weltbild

Nach schamanischer Weltsicht baut sich der Kosmos aus einer Unter-, Mittel- und Oberwelt auf, deren Grenzen vielfach verschwimmend ineinander übergehen. Die Verbindungsachse dieser Welten wird meist als Weltenbaum gesehen, dessen Krone in die Oberwelt reicht, der Stamm befindet sich in der Mittelwelt, in der die Menschen leben, und die Wurzeln verästeln sich in der Unterwelt. Zugleich verbindet der Weltenbaum Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander. Er wird gleichsam zum Weg des Schamanen, über den er die anderen Welten aufsucht.

 

Berufung zum Schamanen

Der Ruf der Geister ereilt den Betroffenen meist während der Pubertät, kann in gewissen Fällen aber auch später erfolgen. Im Traum erscheinen dem zum Schamanen Bestimmten die Seelen Verstorbener oder gewisse Geister, häufig in Tiergestalt. Die meisten Kandidaten wehren sich geradezu verzweifelt gegen das Begehren der Geister, weil der Weg des Schamanen reich an Entbehrung, Mühsal und Qual ist. Während dieser Phase verschlechtert sich der Gesundheitszustand deutlich. Magenbeschwerden, Kopfschmerz und Atemnot, versteifte Gliedmaßen und Hautkrankheiten sind typische Symptome der Schamanenkrankheit, die durch schreckliche Träume und Visionen verstärkt wird. Nach dem Annehmen der Berufung schwinden diese Leiden binnen Tagen dahin. Auf die Berufung folgt eine Phase der Belehrung durch die Geister.


Verwandlung

Doch zum wirklichen Schamanen wird man erst durch die Initation nach dem 50sten Lebensjahr, die eine tiefgreifende, umfassende Umwandlung des Schamanenanwärters darstellt. Einige Zeit nach seiner Berufung erkrankt er nämlich ein zweites Mal. Er versinkt in tiefe Bewußtlosigkeit, Wundmale oder Hautkrankheiten treten in Erscheinung und der Körper mergelt aus - alles Abbild dessen, was sich im Inneren abspielt. Während dieser Schamaneninitation erlebt der Novize in einer etwa dreitägigen Traumvision seine Tötung mit Zerlegung seines Körpers, Zusammensetzung in neuer Form und seine Wiederbelebung. Nach der Initation erscheint er wie ausgewechselt - er ist nun zum Doppelwesen geworden, halb Mensch, halb Geist. Die spirituelle Wiedergeburt macht den Schamanen zum Blutsverwandten seiner Schutz- und Hilfsgeister, was ihn letztlich auch in die Lage versetzt, sich in Tiere zu verwandeln - freilich nur im Jenseits, um dort seinen Aufgeben nachgehen zu können. Durch die Verwandlung hat sich nun auch die Gabe der Hellsichtigkeit eingestellt oder besser der außersinnlichen Wahrnehmungen. Tod und Wiedergeburt werden auch im Weltenbaum durch den Vegetationszyklus symbolisiert. Und auch unter der Perspektive universaler Religiosität versinnbildlicht der Baum den Quell neuen Lebens.

 

Tätigkeit

Zu allen Zeiten war es Aufgabe der Schamanen für das Wohlergehen ihrer Mitmenschen zu sorgen. Heilungen bei Krankheiten, Hilfe für belastete Seelen oder Ratschläge bei anstehenden Entscheidungen sind typische Aufgabenstellungen. Die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche schamanische Sitzung ist in jedem Fall die Trance. Schamanen bedienen sich dazu der unterschiedlichsten Mittel, doch sehr häufig Musik und Gesang. Gleichförmige, wiegende Körperbewegungen kombiniert mit dem rhythmischen Schlagen der Trommel versetzt den Schamanen in den gewünschten Trancezustand. Häufig werden zur Verstärkung auch Stimulanzien eingesetzt, wie z.B. bestimmte Pilzarten. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß wirklich große Schamanen keiner halluzinogener Drogen bedürfen, da diese imstande sind, allein mittels gedanklicher Konzentration und Willenskraft in Trance zu geraten.